Die Geister an meinem Tisch

Wir saßen eine gefühlte Ewigkeit lang gemeinsam am Tisch. Ich tat so, als gäbe es, als sähe ich sie tatsächlich nicht. Sie aber sprachen tagtäglich zu mir, stupsten mich an und riefen laut „Antworte endlich, denn wir reden mit dir!“

Ich schwieg weiter, hielt meine Ohren zu vor ihren blechernen Stimmen, verbot mir, sie beim nächsten Mal wieder mit nach Hause mitzubringen. Ich sperrte sie in Verließe ohne Fenster und Schlösser ein und doch saßen sie stets lange schon vor mir am Tisch, wenn ich kam irgendwann heim. Ich beschwor Schamanen, echte und Betrüger, wurde auch mit deren Hilfe nicht klüger. Ich bekämpfte meine innere Stimme, die riet, sie anzusehen, mir nicht länger selber im Wege zu stehen, mit Feuer, mit Tränen und Wut, schürte damit nur weiter die Schreie der teuflischen Brut. Sogar die Mächte der Finsternis, die Götter der Dämmerung und alle Heiligen rief ich an, nur um zu erfahren, wie ich ihnen auf Dauer entkommen kann. Auch durch sie erfuhr ich keine Erlösung, irgendwie. Nichts von all dem zwang sie in die Knie. So fluchte ich nur noch, rannte vor mir selber davon, mehr als einmal. Doch nichts ließ sie verschwinden, nichts linderte meine Seelenqual. In meiner Verzweiflung stieg ich an den finstersten mir bekannten Ort, traf auf all meine Ängste, Sorgen, geplatzten Träume und Nöte dort. Satan selbst hielt hier Wache zu jener Zeit. Als er mich sah, nahm er mich an die Hand und flüsterte grinsend „Endlich ist es soweit!“. Dann geleitete er mich zurück zu ihnen allen an den Tisch, band mich an den Stuhl, mit den Worten „Weiter ignorieren funktioniert eben nicht“. Er nickte jedem meiner ungebetenen Tischnachbarn zu, verschwörerisch, während ich gegen meine Fesseln ankämpfte und dabei schrie fürchterlich, dass ich nicht wolle, nicht könne, es nicht schaffe, ihnen in die Augen zu sehen. Er drehte sich um und sprach mit fester Stimme „Das kannst, das wirst du doch“ im Weitergehen.  An diesem Tag, diesem Abend, dieser längsten je erlebten Nacht, hat mich der Teufel um meine Mauer, meine Trutz-Burg, meine Ignoranz und beinahe auch um meinen Verstand gebracht. Denn solange es dauerte, solange kauerte ich, verängstigt, entmutigt, scheinbar wehrlos und verschnürt, wie eine Roulade, in der sich kein Gewürzgurken-Stückchen mehr rührt, denen gegenüber, die saßen mit mir am Tisch und erstmals im Leben gelang es mir nicht, nicht auf ihr Wehklagen zu achten, wegzuschauen und mir nicht jeden von ihnen genau zu betrachten. Ich musste mich jedem Einzelnen von ihnen stellen, den Abstoßendsten, den Größten, den Finstersten, jenen bösartigen Gesellen, die ich nie eingeladen hatte, mein Gast zu sein und die mich doch nicht einen einzigen Tag hatten sitzen lassen an meinem Tisch, ganz allein. Auge in Auge mit ihnen habe ich ihnen ihre Masken abgerungen, weil der Teufel mich zu einer Konfrontation mit ihnen hatte gezwungen. Ohne ihre Larven vor ihren Fratzen wirkten ihre Klauen und Tatzen mit einem Mal viel stumpfer und harmloser und weniger brutal. Und ich erkannte erstmals, dass viel von meiner Lebens-Seelenqual herrührte von meiner eigenen Passivität, die mir im Besiegen meiner eigenen Dämonen am Tisch auch jetzt noch oft genug im Wege steht. In diesem Augenblick, in dem es für mich kein vor gab und kein zurück, kämpfte ich mit den Geistern an meinem Tisch und noch viel, viel mehr kämpfte ich gegen mich. Erst nach Stunden konnte ich mich selbst und mit mir alle Dämonen, die bis heute kleinlaut an meinem Tisch sitzen, in mir wohnen, niederringen und endlich zum Schweigen bringen. Satan selbst musste dazu erst kommen und mich zwingen, mich selbst anzunehmen und meine Selbstzweifel niederzuringen. Seit damals habe ich erkannt, dass mein Herz, meine Seele, mein Verstand sich nicht gesund entfalten, solange meine inneren Monster und Dämonen die Fäden über mein Leben in ihren Händen halten. Sie machen mich zu ihren Marionetten, obwohl sie niemals Macht über mich hätten, wenn ich ihnen diese nicht hinterhertrüge. Diese Erkenntnis, dass ich mich so lange schon selbst belüge, sie traf mich wie ein Blitzschlag, mit aller Macht und hat mich endlich, unter unsäglichen Schmerzen, zu mehr Selbstliebe und Selbst-Verständnis gebracht. Ich habe gelernt, mich so anzunehmen, mit allen Wesenszügen, den hässlichen und den schönen, mit allen starken Seiten und schwachen, die mich gemeinsam zu dem einzigartigen Menschen machen, der ich bin. Seit ich das weiß, akzeptiere, bekomme ich’s hin, meinen Platz am Tisch selbstbewusst einzunehmen, dabei die Geister, die sich nach mehr Macht über mich sehnen, in ihre Schranken zu weisen. Ich höre endlich, auf die Stimmen, die lauten und leisen, die tief aus meiner inneren Mitte zu mir sprechen und ich halte ein das mir selbst gegebene Versprechen, nie wieder vor mir selbst auf der Flucht zu sein. Seit ich das kann, sitzen meine Dämonen zwar noch klein, aber nicht mehr bestimmend oder machtvoll neben mir am Tisch. Ich sehe sie, höre sie, ignoriere sie nicht. Ab und an gibt es so etwas wie Konversation mit ihnen, doch jetzt sind sie es, dir mir letztlich dienen. Ihre entblößten Gesichter sind meine Mahnung, achtsam und verständig mit mir selber umzugehen und lassen mich auch meine tiefsten Seelen-Abgründe sehen. Aus ihnen lerne ich, ohne ihnen nachzugeben und bin erstmals endlich Herr über mich und mein eigenes (glückliches) Leben.


Alle auf dieser und den folgenden Seiten verwendeten Texte und Fotografien sind urheberrechtlich geschützt. Solltest Du diese oder Teile hiervon verwenden wollen, wende Dich bitte an die Autorin – anja@gezittert-gereimt.de – ein Text von Anja Allmanritter, Koblenz