Ich bin fasziniert, dass mein Gegenüber verliert

nicht, im Angesicht

der Unordnung und jedweder fehlenden Struktur seinen klaren Blick, seine Lebensspur.

Ich frage ihn, wie es sein kann, dass er nicht von Anfang an bei allem einen Plan, ein Ziel vor Augen hat. Daraufhin lächelt dieser mir aalglatt,

dreist und souverän, so dass ich seine innere Überzeugung kann deutlich vor mir sehen,

ins Gesicht und sagt, dass er brauche solch unnötige Sachen nicht.

Er finde sich stattdessen, sei es beim Wohnen, Arbeiten oder Essen

zubereiten, daheim, in der Nähe oder der ganz weiten

Welt, also eigentlich immer, in jedem neuen Zeitabschnitt oder Lebenszimmer

einfach mit dem ab, was geschehe und ehe er sich versehe,

so sagt er mir noch, laufe alles irgendwie doch.

Ein Plan oder eine Struktur seien ihm viel zu wenig spontan, weil sich dadurch vieles nicht in seiner natürlichen Ordnung entfalten kann.

Ich frage ihn, ob er in dem

Chaos, dass so sein Leben erfüllt, nicht in einen Mantel aus Orientierungslosigkeit und hoffnungslos-ergebnislosem Suchen wird eingehüllt.

Da schüttelt er sein Haupt, betont noch einmal, dass er nicht braucht

eine durchdachte Idee, die am Ende klappt ohnehin selten oder nie

auf den geplanten Wegen oder in der gewünschten Zeit.

Er sei, sagt er, viel lieber stets offen und zu dem bereit, was sich an Möglichkeiten erweise. Das sei die für ihn richtig Art Reise,

um an seine Ziele zu kommen. So habe er im Leben bisher jedes Hindernis überwunden, jeden Aufgabenberg erklommen.

Er verdeutlicht mir, dass, was immer seine Herausforderung auch sei, seine Einstellung ihm helfe, denn diese mache sein Leben einfacher, reicher und ihn unendlich frei.

Und dann sagt er etwas, was ich nicht mehr vergesse sodann, weil ich ihm diesbezüglich nichts entgegenhalten, ihm absolut nicht widersprechen kann.

Er sagt, Chaos entstehe nur, wenn man es selbst so nenne. Das stimmt, denke ich, weil ich nur allzu gut kenne

meine Gedanken, wie etwas müsste eigentlich geordnet und richtig sein, während ich bin mit dieser Meinung völlig allein,

weil manch anderer die daraus folgenden Begriffe des (un)Geordneten, des Richtigen oder des Falschen ganz anders definiert, womit das sogenannte Chaos eigentlich eine allgemeingültige Definition und damit seine Existenzberechtigung verliert.

Du hast recht, mein Freund, muss ich ihm schweigend zugestehen, lasse mein Gegenüber voller Bewunderung und gleichzeitig eigener Verwirrung einfach stehen,

drehe mich im Gehen noch einmal nach ihm um und denke: „Mein Gott, bist du klug und was bin ich selbst dumm.“

Ich beschließe, mir ab sofort an ihm ein Beispiel zu nehmen, mich öfter etwas weniger nach Strukturen und Ordnung zu sehnen

und einfach ein wenig spontaner in den Tag hinein zu leben, um nichtdauerhaft Maßstäben, die andere mir vorgegeben haben, Macht über ich und mein Dasein zu geben.

Ich bin gespannt, was daraus entstehen kann und lege es ab jetzt ebenfalls einfach auf ein etwas „chaotischeres“ Leben an.


Alle auf dieser und den folgenden Seiten verwendeten Texte und Fotografien sind urheberrechtlich geschützt. Solltest Du diese oder Teile hiervon verwenden wollen, wende Dich bitte an die Autorin – anja@gezittert-gereimt.de – ein Text von Anja Allmanritter, Koblenz